Angelinka Sallat kannmit Fug und Recht als Mutter des Projektes bezeichnet werden. Als die heute 71-Jährige im Juli 1990 bei der Stadt Grimma anfing, sollte sie das leerstehende Punkthochhaus im Neubaugebiet Süd, das zu DDR-Zeiten Gastarbeiter beherbergte und wegen seiner neun Stockwerke schlicht PH9 genannt wird, wieder beleben.
Projekt findet in der ganzen Republik Nachahmer
Im Dezember des gleichen Jahres startete das Mehrgenerationenwohnen, das laut Sallat später in der gesamten Republik Nachahmer fand. Das Projekt verband zwei soziale Anliegen: Zum einen sollten Bewohner mit einem Handicap direkt im Haus Hilfe finden und drohender Einsamkeit entfliehen können. Zum anderen sollte Frauen, die es schwer auf dem Arbeitsmarkt haben, eine berufliche Perspektive geboten werden. Sallat managte fortan das Wohnprojekt im 1981 errichteten Haus in der Stecknadelallee.
Dem Trägerwechsel ist ein langer Prozess voraus gegangen. Vorschriften zum Betreuen und Personal hätten sich geändert, für bestimmte Leistungen seien Zertifizierungen nötig – „das Handling wurde immer schwieriger“, erläutert Grimmas Beigeordnete Ute Kabitzsch. Deshalb suchte die Stadt einen Betreiber, der über einschlägige Erfahrungen verfügt und sein Knowhow einbringt. „Wir wollten das Projekt für Bewohner und Beschäftigte auf sichere Füße stellen“, ergänzt Jana Kutscher, die Leiterin des städtischen Amtes für Schulen, Soziales und Kultur.
Ausschlag dürfte vor allem auch die fehlende Liquidität der Stiftung gegeben haben. In der Konsequenz mussten die Sozialbetreuerinnen ständig mit befristeten Arbeitsverträgen leben.
Das BSW – ein gemeinnütziger Verein – gibt ihnen nun eine Beschäftigungsgarantie, wie Geschäftsführer Christian Kamprad verdeutlicht. Die Mieter im Haus behielten ihre gewohnten Ansprechpartner vor Ort. „Wir haben uns beworben, weil das Projekt eine gute Ergänzung unserer Arbeit ist“, sagt Kamprad und lobt die Idee. Das Wohnen mit Betreuungsangeboten biete Menschen, die Unterstützung brauchen, ein selbstbestimmtes Leben – etwa als Alternative zu Pflegeeinrichtungen. Derzeit sind 90 der 108 kleinen Wohnungen belegt, so das etwa 130 Menschen unterm Dach des PH9 leben. Eigentümer des Neunstöckers ist die Grimmaer Wohnungs- und Baugesellschaft (GWB).
„Wir wollen die Arbeit kontinuierlich fortsetzen und den Gedanken weiter tragen“, betont Kamprad. Dazu gehört die eingespielte Zusammenarbeit mit dem Mehrgenerationenhaus Alte Feuerwehr und dem Verein Mehrgenerationenwohnen PH9. Dem BSW-Chef schwebt vor, in den Gemeinschaftsräumen im Erdgeschoss zu den thematischen Runden und Kaffeestunden weitere Angebote zu etablieren und auch Ausflüge anzubieten. Das Haus solle im Sinne der Inklusion weiter entwickelt werden, so Kamprad. Gemeinsam mit der GWB würden sich dann die nächsten Schritte um eine bessere Wohnqualität drehen.
Sozialwerk wird Projektförderung prüfen
Erreichbarkeit rund um die Uhr, Veranstaltungen, individuelle Betreuung und Hilfe: Wer im Haus lebt, zahlt zur Miete je nach Wohnungsgröße eine Grundpauschale von monatlich 40 oder 60 Euro. Wäsche waschen, Saubermachen oder Einkäufe erledigen: Bestimmte Dienstleistungen sind extra zu vergüten. Die Pauschale gehört zur Finanzierung des Projekts. „Wir wollen auch schauen, ob wir Projektförderungen einwerben können“, so Kamprad. Unterm Strich müsse eine schwarze Null stehen.
Angelika Sallat, deren Herz am PH9 hängt, wird ihren Erfahrungsschatz weiter einbringen. Den Wechsel sieht sie dennoch mit zwiespältigen Augen. Sie habe gedacht, dass das Projekt bei der Stiftung gut aufgehoben sei, sagt sie. Sie sei aber auch froh, dass sich mit dem BSW ein Träger fand, „der an den Inhalten festhält und sie weiter entwickelt“.